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Text File  |  1996-06-17  |  7KB  |  127 lines

  1. #Titel Politik / Ändert die Zukunft Deutschlands...
  2. #Logo gadget25:Pinsel/AG.Politik
  3. #Font topaz 8
  4. #C10
  5. #Y+50
  6. der folgende artikel erschien in der 6. ausgabe unseres
  7. jugendmagazins spunk. weitergehende verbreitung/verwendung
  8. nur mit einverständnis der autorin, ute meyer.
  9.  
  10. ciao,
  11.         - holgi -
  12. #Seitenende
  13. #C31
  14. ----------------------------------------------------------------------------
  15. #Font Losse 16
  16.            Ändert die Zukunft
  17.       Deutschlands Vergangenheit?
  18. #Font topaz 8
  19.  
  20.      // Über den Geschichtsrevisionismus des Historikers Ernst Nolte
  21. ----------------------------------------------------------------------------
  22.  
  23. #C10
  24. von Ute Meyer
  25. #C21
  26.  
  27. Ernst Nolte gehört zu den bekanntesten Geschichtsrevisionisten in
  28. Deutschland. Der Historiker und Politwissenschaftler hat zahlreiche
  29. Schriften zum Thema Faschismus herausgebracht. Er war ab 1965 Professor in
  30. Marburg und ist seit 1973 an der Freien Universität Berlin, wo er nach wie
  31. vor Vorlesungen hält.
  32.  
  33. Im sogenannten Historikerstreit von 1986/87 war Nolte einer der
  34. Protagonisten. In diesem Streit brachte der Sozialphilosoph Jürgen Habermas
  35. eine Polemik heraus, die sich gegen revisionistische Geschichtsschreibung
  36. richtete, wie sie Nolte in seinem FAZ-Artikel "Vergangenheit, die nicht
  37. vergehen will" betreibt. Dort stellt Nolte zunächst das politische Panorama
  38. dar, vor dem sich seiner Meinung nach die historische Diskussion der 80er
  39. Jahre abspielte. Tabuisiert werde die Frage nach den "Interessen der [Nazi-]
  40. Verfolgten und ihrer Nachfahren an einem permanenten Status des
  41. Herausgehoben- und Privilegiertseins."
  42.  
  43. Voreilige Politikeräußerungen würden zu einem neuen Antisemitismus
  44. aufgebauscht, aber aus Claude Lanzmanns "Shoah"- Film könne man lernen, daß
  45. "auch die SS-Mannschaft der Todeslager auf ihre Art Opfer sein mochten und
  46. daß es andererseits unter den polnischen Opfern des Nationalsozialismus
  47. virulenten Antisemitismus gab." Es waren eben alle ein bißchen Opfer und ein
  48. bißchen Täter.
  49.  
  50. Die zentrale These des Aufsatzes, an der sich auch der Streit entzündete,
  51. ist Noltes Behauptung, Auschwitz sei eine überzogene Angstreaktion auf
  52. sowjetische Verbrechen gewesen. "Vollbrachten die Nationalsozialisten,
  53. vollbrachte Hitler eine ,asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie
  54. sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer
  55. asiatischen Tat betrachteten? War nicht der ,Archipel Gulag' ursprünglicher
  56. als Auschwitz? War nicht der ,Klassenmord' der Bolschewiki das logische und
  57. faktische Prius des ,Rassenmords' der Nationalsozialisten?"
  58.  
  59. Die These, daß Faschismus in erster Linie Antimarxismus sei, hatte Nolte
  60. schon in seinem 1963 erschienenen Buch "Der Faschismus in seiner Epoche"
  61. dargelegt. Neu ist die Einführung einer historisch-genetischen Dimension der
  62. Totalitarismustheorie, die er in seinem Buch "Der europäische Bürgerkrieg"
  63. von 1987 ausführlich darlegt, und die Identifikation mit den
  64. antikommunistischen Motiven der Nazis. Nolte geht davon aus, dieser
  65. Antikommunismus habe schließlich nur das artikuliert, "was zahlreiche
  66. deutsche und nichtdeutsche Zeitgenossen empfanden und daß alle diese
  67. Empfindungen und Befürchtungen nicht nur verstehbar, sondern auch
  68. großenteils verständlich und bis zu einem bestimmten Punkte sogar
  69. gerechtfertigt waren."
  70.  
  71. Nolte versucht durch seine Thesen, teilweise die NS-Politik zu
  72. rechtfertigen: Die Frage, welchen Charakter der deutsche Angriff auf die
  73. Sowjetunion hatte, ist ein zentrales Thema für Nolte. Nolte argumentiert
  74. nicht so platt wie einige andere Vertreter der rechtsradikalen Gesinnung. Er
  75. konstatiert, "es sei unwahrscheinlich, daß auf deutscher Seite das Empfinden
  76. einer unmittelbaren Bedrohung vorhanden war". Trotzdem sei das ,Unternehnen
  77. Barbarossa' möglicherweise ein "objektiv begründeter und unvermeidbarer
  78. Entscheidungskampf" gewesen. Der Befehl zur Erschießung sowjetischer
  79. Politkommissare, soweit er "im Rahmen des Weltanschauungskrieges zu sehen
  80. ist, war daher nicht ,verbrecherisch', sondern konsequent."
  81.  
  82. Aber selbst beim Antisemitismus der Nazis will Nolte zwischen
  83. gerechtfertigten und ungerechtfertigten Maßnahmen unterscheiden:
  84.  
  85. Zunächst spekuliert er über die Motive der angeblichen Kriegserklärung des
  86. Präsidenten des jüdischen Weltkongresses gegen Deutschland; dann folgert
  87. Nolte, man werde "nicht von vornherein in Abrede stellen dürfen, daß die
  88. Deportationen als solche in den Augen der deutschen Bevölkerung als
  89. unvermeidbar gelten durften. Im Herbst 1941 lebte allein in Berlin noch die
  90. erstaunlich hohe Zahl von über 70000 Juden, und wenn man sich vor Augen
  91. hält, daß Stalin in seiner Rede vom 3. Juli 1941 bei seiner Aufzählung der
  92. gefährlichen Elemente innerhalb der sowjetischen Bevölkerung auch die
  93. ,Gerüchtemacher' nicht ausließ, dann wird man die Berechtigung von
  94. Vorsichtsmaßnahmen erst recht nicht bestreiten können." Die Deportationen
  95. derer, die sich die Nazis mit ihren Rassengesetzen zu Feinden gemacht
  96. hatten, lag also noch im nationalstaatlich vertretbaren Rahmen.
  97.  
  98. Das große Problem, das Ernst Nolte offensichtlich quält, ist die
  99. Diskreditierung des deutschen Nationalsozialismus durch die Juden-
  100. vernichtung. Immer wieder taucht die Frage auf, bis zu welchem Punkt die
  101. Taten der Nazis verständlich oder sogar legitim waren. Es lassen sich noch
  102. eine ganze Menge weitere rassistische Zitate Ernst Noltes finden, die aber
  103. den Rahmen dieses Artikels sprengen würden.
  104.  
  105. Abschließend läßt sich sagen, daß Nolte, mit seiner unglaublich flexiblen
  106. Geschichtsphilosophie gewappnet, sich auch nicht durch die Tatsache in
  107. Verlegenheit bringen läßt, daß der Neofaschimus nach dem Zusammenbruch
  108. seines ,Schreckbildes' Realsozialismus stärker statt schwächer wurde. Es
  109. bieten sich zwei Erklärungsmöglichkeiten an:
  110.  
  111. Entweder leugnet Nolte den rechtsradikalen Charakter rassistischer Anschläge
  112. ("Man müßte genau wissen, was eigentlich in Rostock vorging. Wenn es stimmt,
  113. was von aggressiver Bettelei, von Fäkalien in Vorgärten gesagt wurde, dann
  114. ist die Reaktion darauf kein Phänomen von Ausländerfeindlichkeit"), oder er
  115. erfindet neue Gefahren, vor denen sich die nationalbewußten Bürger
  116. berechtigter Weise fürchten ("Je künstlicher es in mancher Hinsicht wird,
  117. vielleicht auch nur je intellektueller es wird, um so mehr verhärtet es sich
  118. bis zu dieser Idee, das deutsche Volk in seiner Substanz zu ändern, etwas
  119. anderes in Form einer Supermarktzivilisation an die Stelle der deutschen
  120. Nation zu setzen.")
  121.  
  122. Ernst Nolte gehört zu den geistigen Brandstiftern in diesem Land. Es ist
  123. schwer, etwas gegen ihn zu unternehmen, er weiß genau, wieviel er sagen
  124. kann, ohne Schwierigkeiten zu bekommen. Er gehört zu den Rassisten, vor
  125. denen man sich fürchten muß, er macht Opfer zu Tätern in Vorlesungen an
  126. Universitäten.
  127.